Die wichtigsten Lokalisierungstrends für 2023
Sprechende Maschinen, Übersetzen jenseits physischer Grenzen und Budget-Akrobatik: Passend zum Start ins neue Jahr präsentiert Ihnen das Team von Milengo spannende Entwicklungen im Bereich der Lokalisierung, die dem Jahr 2023 ihren Stempel aufdrücken könnten.
Speech-to-Speech: Der Traum vom Universalübersetzer
Ob implantierter Mikrochip oder praktisches Handheldgerät – ein Kommunikationswerkzeug, das eine nahtlose Unterhaltung über Sprachgrenzen hinweg ermöglicht, gehört zum guten Ton jeder Science-Fiction-Vision. In Star Trek etwa bringt der Universal Translator Klarheit ins intergalaktische Sprachengewirr.
In der Realität ist die Entwicklung einer solchen Technologie jedoch problematischer, da die gesprochene Sprache quasi der „anarchische kleine Bruder“ des geschriebenen Worts ist: Ständig brechen wir Gedankengänge ab, formulieren neu, verschlucken Silben, flechten Slang und Regionalismen ein, während wir das Gesagte durch Mimik und Gestik kontextualisieren. Angesichts dieser schwer in Algorithmen zu fassenden Parameter ist es kein Wunder, dass es an „Speech-to-Speech“-Technologie bislang noch hapert. Verbraucherprodukte wie der Cheetah CM Translator sind zwar bereits heute in der Lage, automatisch zwischen zwei Sprachen zu dolmetschen; bislang handelt es sich jedoch eher um fehleranfällige Technologie-Gadgets als um alltagstaugliche Helfer.
Den Lokalisierungstrends 2023 zufolge könnte sich das in naher Zukunft ändern. Wie ein Report der Branchenexperten von Slator zeigt, suchen Technologiekonzerne, Staat und Wissenschaft verstärkt den Schulterschluss, um in Zukunft mittels KI-gestützter Modelle in Echtzeit übersetzen zu lassen. Ein Beispiel ist Meta (ehemals Facebook), das 2022 SpeechMatrix frei verfügbar machte – ein riesiger mehrsprachiger Korpus von Speech-to-Speech-Übersetzungen, der als Referenz zur Entwicklung zukünftiger Übersetzungssysteme dienen kann.
Auch die Europäische Union (EU) setzt sich mit dem Thema auseinander. 2021 wurde das Übersetzungsunternehmen RWS von der EU beauftragt, Parlamentsdebatten automatisch in die 24 Amtssprachen der Gemeinschaft zu transkribieren und zu übersetzen. Darüber hinaus entwickelt das Konsortium ein Konzept für eine breitere kommerzielle Nutzung, einschließlich der Live-Übersetzung mündlicher Debatten für Webkonferenzen, Remote-Live-Dolmetschplattformen und -Onlineschulungen. Die EU selbst tüftelte bis 2021 unter dem Motto „Many Languages, One Voice“ am European Live Translator (ELITR). Das Ziel: die Sprachbarriere in der Kommunikation gerade bei großen Veranstaltungen wie Konferenzen sowie bei kleineren Live-Diskussionen wie Workshops zu beseitigen.
European Live Translator: vom gesprochenen Wort über die Verschriftlichung bis zur Übersetzung
Und was haben Unternehmen davon, dass Speech-to-Speech bald noch zuverlässiger funktioniert? Einiges! So könnte die Technologie etwa in der internationalen Geschäftskommunikation oder im mehrsprachigen Kundenservice zum Einsatz kommen.
Lektüretipp für 2023
Das Masakhane-Projekt hat sich der Entwicklung von KI-Übersetzungsprogrammen für afrikanische Sprachen verschrieben. Der Kontinent ist in der Forschung zu Natural Language Processing bislang stark unterrepräsentiert. Die Stärkung kommerziell wenig sichtbarer oder gar vom Aussterben bedrohter Sprachen ist ein wichtiges Teilziel der Übersetzungsforschung und verdient mehr Aufmerksamkeit.
Übersetzungstools in der Cloud: Luftschloss oder himmlische Helfer?
Musik streamen über Spotify, designen mit Photoshop-Abo – „Software-as-a-Service“ ist längst gesellschaftlich r Mainstream. Darin spiegelt sich ein weiterer Lokalisierungstrend für das Jahr 2023 e: Ein Großteil der Übersetzungssoftware (Translation-Management-System, TMS) wird nämlich bald nur noch als Clouddienst erhältlich sein; lediglich etablierte Platzhirsche wie memoQ oder SDL Trados bieten noch einen On-Premise-Client.
Zweifellos gehört der Cloud die Zukunft: Mit ihr kann der Zugang für Übersetzungsteams bequem über einen Webbrowser ohne lokale Installation erfolgen; Updates werden automatisch durchgeführt; das Übersetzungsmanagement ist komplett zentralisiert. Blinde Euphorie ist aber ebensowenig angesagt – bedenken Sie vor dem Kauf einer solchen Software unbedingt auch folgende Aspekte:
- Datensicherheit: Übersetzungstools in der Cloud schützen Daten gewissenhaft. Eine Binsenweisheit lautet aber ebenfalls: Je mehr Daten an einem Ort kumuliert sind, desto mehr steigt das Risiko eines Angriffs. Und eine Sicherheitslücke in einem cloudbasierten Translation-Management-System trifft potenziell nicht nur ein Unternehmen, sondern alle Kunden der Lösung. Deshalb sollten Anwendungen, die für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen entscheidend sind, am besten auf eigenen Servern hinter einer robusten Firewall gehostet werden. Das gilt unter Umständen auch für Ihr TMS. Wenn Sie regelmäßig sensible, für ihren geschäftlichen Erfolg ausschlaggebende Texte übersetzen lassen, sollten Sie genau überlegen, ob eine Cloudlösung Ihren Sicherheitsanforderungen entspricht oder nicht doch eine lokale Installation sinnvoller ist, bei der Sie die volle Kontrolle behalten. Treffen Sie die Entscheidung in jedem Fall nicht leichtfertig: Ein TMS ist eine langfristige Investition und kann später nicht mehr ohne größeren Aufwand ausgetauscht werden.
- Übersetzungsfunktionen: Die meisten Unternehmen priorisieren beim Kauf eines TMS Faktoren wie Konnektoren, Automatisierung und leistungsstarkes Übersetzungsmanagement. Doch gerade wenn Ihr Übersetzungsaufkommen sehr hoch ist, sollten Sie darauf achten, wie gut eigentlich die Übersetzerinnen und Übersetzer mit der Software arbeiten können – denn diese verbringen mit Abstand am meisten Zeit mit der Anwendung. Der Haken hierbei: Cloudlösungen bieten oft eine abgespeckte Übersetzungsfunktionalität; somit bleibt die Produktivität Ihrer „Power User“ unter Umständen auf der Strecke, was sich für Sie in unzufriedenen Mitarbeitern oder gar gestiegenen Übersetzungspreisen niederschlagen kann.
Lektüre-Tipp für 2023
Auf Ihrem Wunschzettel für das neue Jahr steht ein funkelnagelneues Translation-Management-System? In unserem Blog-Artikel vergleichen wir für Sie die populärsten Lösungen auf dem Markt.
Gefangen in der Preisfalle: Wird Übersetzen zu teuer?
Vielleicht kennen Sie das: Übersetzungsprofis zu bezahlbaren Preisen zu finden, war schon mal einfacher. Ein Grund dafür ist der hohe Preisdruck in der Branche – und 2023 wird sich diese Entwicklung weiter zuspitzen: Die Inflation zwingt Übersetzerinnen und Übersetzer, ihre Tarife anzuheben; zugleich lässt der Vormarsch von Machine Translation (MT) Übersetzungspreise in den Keller sinken, was Sprachdienstleister in Panik versetzt; kriselnde Unternehmen wiederum kürzen ihre Übersetzungsbudgets, obwohl sie im Zuge der globalen Expansion eigentlich immer mehr Content übersetzen müssten. Wie können Unternehmen hier die Quadratur des Kreises vollziehen und trotz knappem Budget Übersetzungen in guter Qualität erhalten? Einige Gedanken:
- Übersetzen Sie weniger: Obskure Blog Posts, veraltete Whitepaper, nie besuchte Unterseiten Ihrer Website: Vieles, was Sie übersetzen lassen, erzielt unter Umständen wenig Wirkung. Früher zeigten Unternehmen in Auslandsmärkten Präsenz, indem sie einfach möglichst viel übersetzen ließen – Qualität spielte dabei oft eine untergeordnete Rolle. In der Experience Economy muss Unternehmenskommunikation jedoch aus der Masse hervorstechen. Überlegen Sie deshalb genau, welchen Wert Ihr Content eigentlich für Menschen in einer anderen Sprache und in einem anderen Land hat. Und verzichten Sie auf eine Übersetzung, wenn diese keine spürbare Rendite verspricht.
- Übersetzen Sie smarter: Übersetzung ist nicht gleich Übersetzung – tatsächlich existiert ein großes Spektrum an Qualitätsabstufungen. Zertifizierte maschinelle Übersetzung ist ideal für rein informative Inhalte. Wenn es auf Stil und sprachliche Genauigkeit ankommt, sind menschliche Übersetzer die erste Wahl. Der Kreativservice Transcreation wiederum ist prädestiniert für Ihre feingeschliffenen Marketingbotschaften.
- Übersetzen Sie mit Wirkung: Richten Sie Ihr Augenmerk auf Übersetzungen, die für den Umsatz oder die Reputation Ihres Unternehmens von größter Bedeutung sind. Selbst wenn Ihr Budget für Übersetzungen insgesamt sinkt, sollten Sie in diesem Bereich Geld investieren – etwa in qualifizierte Übersetzer, Lektorat, Review-Zyklen, SEO und mehr. Gerade Onlinetexte ranken in Suchmaschinen nur prominent, wenn ihre Qualität einwandfrei ist. Das liegt unter anderem an Technologien wie dem von Google 2021 vorgestellten Multitask Unified Model (MUM). Mit dem KI-Modell versucht Google, die Intention von Suchanfragen besser zu verstehen. Im Zeitalter dieser „semantischen“ Suchmaschinen ist es essenzieller denn je, dass auch übersetzter Content für Userinnen und User relevant und maximal nützlich ist. Gerade das Thema SEO-Übersetzung rückt hier in den Vordergrund, da Keywords für jedes Land und jede Sprachenkombination sorgfältig recherchiert und die Texte unter Umständen bei der Übersetzung in die jeweilige Zielkultur weiter angepasst werden müssen (etwa durch Transcreation). Diese hochspezialisierte Arbeit sollten Marketingteams keinesfalls maschinellen Übersetzungsdiensten überlassen, denn Google erkennt automatisch generierte Inhalte und kann diese mit einem niedrigeren Suchmaschinenranking abstrafen. Das ist viel zu riskant – gerade wenn Sie viel Geld in Ihren Content investiert haben und dieser Traffic generieren, neue Kunden anlocken oder Umsatz erzielen soll. Welche Rolle aktuelle Conversational KIs wie ChatGPT in diesem Kontext zukünftig spielen werden, ist noch einmal eine ganz andere Frage.
Hörtipp für 2023
Sie möchten die Preismechanismen in der Lokalisierungsindustrie besser verstehen? Dann sei Ihnen diese Podcast-Folge von The Translation Company ans Herz gelegt, in der Renato Beninatto von Nimdzi Research und Multilingual Magazine seine Sicht der Dinge über aktuelle Branchenentwicklungen darlegt.