Marktradar: Populäre Translation-Management-Systeme
Wünschen Sie sich manchmal, Ihre Übersetzungsprobleme würden sich in Luft auflösen? Die Übergabe von Übersetzungsdateien geschähe wie von Zauberhand, statt einem manuellen Martyrium zu gleichen? Plagen Sie Albträume von isolierten Geschäftssystemen, in denen Ihre Übersetzungsressourcen bis in alle Ewigkeit gefangen sind?
Wir haben die perfekte Therapie gegen translatorische Traumata: ein Translation-Management-System.
Warum sich „Übersetzen mit System“ lohnt
Gewiss – die obige Einleitung ist mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Dennoch enthält sie einen wahren Kern: Schließlich treibt viele Unternehmen der Wunsch um, Übersetzungen mit einer eigenen Infrastruktur besser in den Griff zu bekommen.
Translation-Management-Systeme (TMS) decken den gesamten Lebenszyklus einer Übersetzung ab. Sie vereinen Business Management (Projektmanagement, Vendor Management, Finanzmanagement), Process Management (Workflow-Automatisierung, Collaboration-Tools, Konnektivität zu Drittsystemen) und Language Management (Verwaltung von Translation Memories und Termbases, Kundenreview uvm.). Übersetzen kann man damit dank integriertem CAT-Tool in der Regel selbstverständlich auch – obwohl dieser Aspekt bei den Werbestrategien der Anbieter nicht immer im Vordergrund steht.
In diesem Artikel stellen wir 4 TMS-Lösungen vor, die auf dem Markt besonders stark nachgefragt werden. Dabei beschränken wir uns auf vendorneutrale Systeme – also solche, die nicht an die Zusammenarbeit mit einem bestimmten Sprachdienstleister geknüpft sind.
XTM Cloud: Schwergewicht für globale Konzerne
XTM hat sich als einer der Marktführer für cloudbasierte Translation-Management-Systeme etabliert. Mit knapp 20 Jahren Branchenerfahrung gehört das Tool im Hinblick auf Funktionalität, Systemstabilität und Kundensupport zu den ausgereiftesten Lösungen.
XTM deckt den gesamten Übersetzungsworkflow inklusive Projekt-, Vendor- und Client-Management auf einer zentralen Plattform ab. Der Fokus liegt dabei klar auf dem Business Management und dem immer wichtigeren Thema Konnektivität: Die Software verfügt über eine umfassende Bibliothek an Konnektoren für Content-Management-Systeme, Quellcodeverwaltungssysteme, Cloud-Service-Lösungen und Marketing-Automatisierungslösungen. Hinzu kommen Analytics-Funktionalität, Qualitätsprüfungen, ein Kundenportal sowie ein eigener Workflow Builder zur Definition komplexer Prozesse.
XTM richtet sich mit seiner breit ausgelegten Funktionalität und den relativ hohen Investitionskosten an große Enterprise-Kunden mit spezifischen Anforderungen in Sachen Automatisierung und Reporting. Meist handelt sich dabei um Organisationen, in denen viele verschiedene Stakeholder wie Marketing-, HR- oder Doku-Teams Übersetzungen in unterschiedlichen Dateiformaten beauftragen, wobei abweichende Prozessanforderungen und Review-Schritte berücksichtigt werden müssen.
Ein Merkmal vieler Onlinetools – und das gilt auch für XTM – ist der schlank gehaltene Übersetzungseditor, welcher gegenüber traditionellen Desktoptools wie memoQ oder Trados Studio abfällt. Innovative Ansätze sind durchaus vorhanden – etwa die Möglichkeit, für Marketingclaims mehrere kreative Übersetzungsvorschläge vorzulegen, oder der leistungsstarke Visual Editor für Adobe InDesign, XML und HTML, mit dem Übersetzungen als Vorschau im Originalformat angezeigt und direkt ans Ziellayout angepasst werden können. Bei den grundlegenden Übersetzungsfunktionen besteht aber Luft nach oben – etwa bei der Benutzerfreundlichkeit der Konkordanzsuche, der Textverarbeitung, den fehlenden Möglichkeiten zur gleichzeitigen Bearbeitung mehrerer Übersetzungsdateien oder bei Rechtschreibprüfung und Qualitätssicherung.
memoQ: Bewährte Managementfunktionen und zufriedene Übersetzer
Die erste Version von memoQ wurde 2006 vom ungarischen Entwicklerstudio Kilgray veröffentlicht. Bereits 2010 hatte sich die Lösung in Europa zum zweitbeliebtesten CAT-Tool und TMS hinter Marktführer SDL Trados aufgeschwungen.
Ursprünglich als lokales TMS konzipiert, hat auch memoQ längst die Cloud für sich entdeckt. Kunden mit strengen Datenschutzanforderungen bietet memoQ zudem einen Hosting-Service und ist darüber hinaus die einzige Lösung, bei der Unternehmen ihren eigenen On-Premise-Server hosten können.
memoQ konzentriert sich die Bereiche Projektmanagement, Verwaltung von Übersetzungsressourcen und den Übersetzungsprozess selbst. Die Business-Management-Komponente wird bei Bedarf über externe Partner wie Plunet, LBS und Consoltec bereitgestellt. memoQ ist ein Tool für Power User; seine ausufernde Funktionalität kann auf Einsteiger überwältigend wirken, während erfahrene Benutzer von den umfangreichen Customization-Optionen für Übersetzungsworkflows profitieren.
Die Software verfügt über keine riesige Anzahl an vorgefertigten Konnektoren, sondern erfordert in vielen Fällen eine individuelle Anbindung via Web Service API (WS API). Das ist jedoch nicht zwangsläufig ein Nachteil, da auch viele Out-of-the-Box-Konnektoren anderer Systeme nicht reibungslos funktionieren (z. B. Segmentierungsprobleme beim Import von Dateien in CAT-Tools verursachen) und eine weitere Anpassung erfordern.
Das Prunkstück der Lösung ist edoch memoQ translator pro. Der populäre Übersetzungseditor verfügt über eine leistungsstarke Konkordanzsuche, intelligente Autokorrektur und eine große Anzahl an Textfilterfunktionen. Durch die Erstellung benutzerdefinierter Ansichten können mehrere Übersetzungsdateien in einem Dokument vereint werden, was besonders bei Projekten mit Dutzenden Dateien ungemein hilfreich ist. Die Benutzeroberfläche ist mittels modularer Elemente vielseitig anpassbar und kann mit benutzerdefinierten Shortcuts navigiert werden, während das QA-Modul als besonders funktionsreich heraussticht.
Ein weiterer Pluspunkt: Die tolle Community! Einmal pro Jahr lädt das Unternehmen zum memoQfest nach Budapest. Bei der Anwenderkonferenz stehen neben obligatorischen Networking-Events auch Vorträge zu Lokalisierungstrends sowie ein opulentes Gala-Dinner und Sightseeing-Trips auf dem Programm!
Memsource: Versierter Allrounder in der Cloud
Memsource wird von über 250.000 Benutzern weltweit eingesetzt und zählt Global Player wie Uber, Zendesk, Vistaprint und Huawei zu seinen Kunden. In Sachen Funktionalität braucht sich Memsource nicht hinter den Granden der Branche verstecken: Die Lösung unterstützt über 500 Sprachen, 50 Dateiformate und 30 Machine Translation Engines.
Die üblichen Standardfeatures sind allesamt enthalten – ob zentrale Verwaltung von Translation Memorys und Terminologie, ein CAT-Editor, eine REST API für Custom Integrations und unzählige CMS-Konnektoren für die systemübergreifende Lokalisierung. Somit ist Memsource eine solide Wahl für globale Unternehmen mit großem Übersetzungsvolumen, die ihre Übersetzungsprozesse mit anderen Content-Systemen verknüpfen möchten.
Ähnlich wie XTM hat sich Memsource den Trendthemen Konnektivität und Workflowautomatisierung verschrieben. Die ständig weiterentwickelten Konnektoren sind leicht einzurichten und decken alle Klassiker wie WordPress, Github, HubSpot, Marketo oder Zendesk ab. Workflows lassen sich je nach Content-Typ oder Produktserie umfassend anpassen und mit verschiedenen Review-Schritten versehen. Gerade Developer und Softwareschmieden kommen dank dem hohen Integrationsgrad und den vielfältigen Automatisierungsmöglichkeiten – von Übersetzungsanfragen bis zur Projektlieferung – auf ihre Kosten.
Die Lösung ist etwas jünger als memoQ und XTM und wurde von CSA Research im Jahr 2019 als das praxistauglichste Übersetzungsmanagementsystem eingestuft. Memsource zählte bei der Integration von Machine Translation zu den Vorreitern der Branche. Zwar legen die meisten Anbieter bei diesem zentrale Thema inzwischen eine gleichwertige Funktionalität vor, dennoch kann Memsource weiterhin mit innovativen Features punkten: So wurde 2020 Memsource Translate eingeführt, das mittels künstlicher Intelligenz anhand von Sprachenpaar und Fachgebiet die leistungsfähigste MT-Engine auswählt und Qualitätskennzahlen für maschinell erstellte Übersetzungen berechnet.
Aus Übersetzerperspektive ist Memsource vor XTM, aber noch hinter memoQ anzusiedeln. Ähnlich wie XTM richtet Memsource den Fokus auf die Cloud, stellt aber auch einen Desktop-Editor bereit, der gerade bei der Arbeit mit größeren Übersetzungsprojekten von Nutzen ist. Der lokale Editor ist mit allen gängigen Plattformen kompatibel und somit im Gegensatz zu vielen anderen CAT-Tools, die nur Windows unterstützen, auch für Mac-User geeignet.
2020 erwarb die Private-Equity-Gesellschaft The Carlyle Group eine Mehrheitsbeteiligung an Memsource. CEO David Canek versprach sich davon, „das Tempo, mit dem wir innovative Lösungen für unsere Kunden entwickeln, nochmals deutlich zu erhöhen […] und die Transformation von Lokalisierungsprozessen in Großunternehmen voranzutreiben“. Ein erster Schritt auf diesem Weg wurde bereits getan: Anfang 2021 kaufte Memsource die Hamburger Softwarelokalisierungsplattform Phrase, um laut eigener Aussage „das branchenweit führende Unternehmen für Übersetzungsmanagement“ zu formieren.
Lokalise: Neue Impulse für agile Workflows
Lokalise ist ein rasant wachsender neuer Player auf dem Markt, der mit spannenden Ansätzen aufwartet und sich damit erfrischend von den schwerfälligeren TMS-Anbietern der alten Schule abhebt.
Auch Lokalise lockt mit dem Versprechen der plattformübergreifenden Lokalisierung von einem zentralen Ort – ob Websites oder mobile Apps, Games, Software, Marketing oder technische Dokumentation. Der Anbieter bewirbt sein Tool mit dem Slogan „von Entwicklern für Entwickler“ und ist insbesondere auf Softwareunternehmen mit agiler Philosophie und eng getakteten Releasezyklen spezialisiert. Via API/CLI lassen sich umfassende Workflowautomatisierungen vornehmen, hinzu kommen mächtige Integrationen mit GitHub, GitLab, Bitbucket & Co., mit denen die Übersetzung bequem in den Entwicklungs- und Deploymentprozess eingebettet werden kann.
Das In-Context-Editing für Webseiten und mobile Apps hilft, kontextsensitive Übersetzungsfehler im Zielformat frühzeitig auszumachen. Designer wiederum können übersetzte Texte dank Integrationen für Sketch, Figma und Adobe XD in Echtzeit im jeweiligen Designtool prüfen und Übersetzungsteams rechtzeitig Rückmeldung zu Layoutkonflikten geben.
Bei Lokalise handelt es sich um ein Entry-Level-TMS, das in seinem aktuellen Entwicklungsstadium besonders gut für Startups und mittelständische Unternehmen geeignet ist. Die Einstiegskosten sind vergleichsweise gering und an ein transparentes Preismodell geknüpft. Die relativ schlanke Funktionalität ist im Vergleich zu den Schwergewichten der Branche noch ausbaufähig. Das betrifft insbesondere den Übersetzungseditor, der sich auf Wesentliches beschränkt und noch ohne tiefergehendes QA auskommt. Pluspunkte sind der sehr proaktive und kundennahe Support und ein exzellentes Feature Request Program, mit dem weitere Verbesserungen des Tools vorangetrieben werden sollen.
Fazit
Der Markt für Translation-Management-Systeme ist stark diversifiziert – auch bei unseren Kunden kommt eine überraschend große Fülle unterschiedlicher TMS-Lösungen zum Einsatz. Gerade deshalb sollte sich die Entscheidung für ein Tools eng an den jeweiligen Anforderungen ausrichten: Steht die Beschleunigung des Übersetzungsprozesses oder die Qualität der Texte im Vordergrund? In welchen Systemen muss der zu übersetzende Content erstellt, gepflegt und veröffentlicht werden? Wie groß darf das Investment sein? Jedes der hier vorgestellten Translation-Memory-Systeme weist charakteristische Stärken und Schwächen auf, die in Ihre Entscheidung einfließen sollten.
Sind Sie beim Übersetzen auf die Verwendung eines speziellen Dateiformats angewiesen? Oder ist Ihre Branche stark reguliert und setzt zwingend bestimmte Datenschutzstandards voraus? Mit dem exzellentenFeature Comparison Tool von Nimdzi können Sie den Funktionsumfang verschiedener TMS-Lösungen detailliert miteinander vergleichen und so eine Vorauswahl für Ihre weitere Recherche treffen.